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Wo etwas bricht, dort kracht's


Persönliche Erinnerungen von P. W. Zimmer an die Ereignisse von 1988 zum 10-jährigen Bestehen der FSSP:

Erinnerungen an meine Trennung von der Lefebvre-Bewegung 
und die Gründung der Priesterbruderschaft St. Pet­rus

Sonntag, 27. September 1998. Es ist ein schöner, warmer Spätsommertag. Der Lärm vom Urfahraner Markt dringt an mein Ohr.
Eine 90jährige Dame, die ich zum Mittagessen eingeladen hatte, die seinerzeit entscheidend für die „alte“ Messe in der Minoritenkirche gekämpft hatte, gab mir während ihres Besuches eine Schrift der Priesterbruderschaft St. Pius X.: „1988 - Das unauffindbare Schisma. Ein Vortrag von Abbé Michel Simoulin“.

Gemütlich sitze ich nun im Wohnzimmer bei einer Schale Kaffee und beginne zu lesen. Aus meinen Erinnerungen tauchen dabei Bilder auf, die vor über zehn Jahren eingeprägt wurden. In theatralischer Sprache spricht die Einleitung zu diesem Büchlein von den Bischofsweihen Mgr. Lefebvres als von einer „heldenhaften Entscheidung“ die „wie ein entschiedener, letzter Paukenschlag“ eines „Kreuzzuges“ „für das Fortbestehen des Priestertums und der katholischen Messe“ zu betrachten sei.

Ach ja! Diese theatralische Sprache! Wie viele Beispiele fallen mir dazu ein.

Plötzlich steht vor meinem geistigen Auge der damaligen Regens des Lefebvre-Seminars in Zaitzkofen, Pater Paul Natterer. Ich sehe ihn bei einer unvergeßlichen Predigt in der Seminarkirche, in der er verkündete: „Wir erwarten den Tag an dem wir unter den Klängen des Te Deums in den Petersdom einziehen und die Modernisten an jenen Galgen hängen, den sie Mgr. Lefebvre bereits bereitet haben“.
Ich sehe wieder jene Exerzitien, die Pater Roch einmal gepredigt hat und in deren Verlauf er über den „modernistischen“ Kardinal Ratzinger schimpfte und dann - in seinem Deutsch mit französischem Akzent - meinte: „Ich kaufe mir einen Teppich. Und diesen Teppich lege ich mir vor mein Bett. Und auf diesem Teppich steht: Ratzinger. Und jeden Tag in der Früh und am Abend: Ich steige drauf.“

Ich muß lachen. Heute wundert es mich, daß mich derlei Äußerungen damals nicht noch mehr gestört haben. Es war eben die Sprache, die wir fast täglich hörten.

Diese griffigen Sager haben aber nicht unwesentlich Schuld daran, daß Ansichten vertreten werden können, die in nüchterner Formulierung sehr leicht als falsch zu entlarven wären.
Schon nach wenigen Seiten unterbreche ich wieder meiner Lektüre.
Schlägt mir hier nicht schon aus den ersten Zeilen wieder jene grundfalsche Argumentationstechnik entgegen, die wahrscheinlich den entscheidenden Denkfehler der Piusbruderschaft ausmacht?

Da werden Zitate von Pater Congar wiedergegeben, die - wenn sie stimmen (was bei der Piusbruderschaft nicht immer so sicher ist; es fehlen ja leider auch die Quellenangaben) - schlimmstenfalls die Meinung eines Kardinals bedeuten. Diese Meinung wird nun lauthals als „die Lehre der Kirche“ ausgegeben, um zu beweisen, „die Kirche“ hätte den Glauben verloren, die einzig wahre Kirche, die Kirche Christi zu sein. So heißt es im Anschluß an diese Zitate dann auch verallgemeinernd: „Die Kirche hat also einen Grundsatz aufgegeben!“
Das ist genauso, als würde jemand ein gutes Zitat von Kardinal Ottaviani aus der Konzilszeit anführen, um zu beweisen, daß heute sowieso alles in der Kirche in Ordnung sei.

Ich bin mir sehr wohl der Glaubenskrise in der Kirche bewußt. Ich verstehe auch nicht, warum seit Jahrzehnten Theologen Priester ausbilden dürfen, die nicht mehr  ernsthaft an die Gottheit Christi und die göttliche Gründung der katholischen Kirche glauben.
Ich weiß auch nicht, wieso der Bischof nicht einschreitet, wenn die Linzer Kirchenzeitung in häufiger Wiederholung Homosexualität als normal erklärt und Theologen unwidersprochen zu Wort kommen läßt, die behaupten, Christus hätte keine Kirche gewollt und die kirchlichen Ämter wie Priestertum und das Bischofsamt könnten geändert werden.
Ich verstehe auch nicht, warum der Pfarrer von Leonding Pfarrer bleiben kann, obwohl er keine katholische Meßtheologie mehr vertritt. [Diese Anspielungen beziehen sich auf Vorfälle, die 1998 aktuell waren. Anm. d. Verfassers]

Ich sehe sehr genau, welche verderbliche Wirkung das hier und jetzt für die Gläubigen bedeutet.

Ich weiß um die Langzeitschäden, die all das im Kirchenvolk anrichtet.

Aber die Kirche ist das nicht! Was wird als Äußerung „der Kirche“ zählen, wenn in 50 oder 100 Jahren Kirchenhistoriker auf unsere heutige Zeit blicken? Sicherlich nicht die Linzer Kirchenzeitung und auch nicht die Häresien, die Theologen in ihren Büchern und Vorlesungen vertreten.

Äußerungen „der Kirche“ sind die Konzilstexte, so wie sie nun einmal geschrieben sind (und nicht wie sie interpretierend zitiert werden), der Katechismus der katholischen Kirche, der eine authentische Darlegung des Glaubens „der Kirche“ unter Berücksichtigung des Zweiten Vatikanischen Konzils ist, und alle päpstlichen Enzykliken und Schreiben wie etwa „Veritatis splendor“, das „Apostolische Schreiben über die theologische und rechtliche Natur der Bischofskonferenzen“ oder das Motu proprio „Ad tuendam fidem“.

Wer beweisen wollte, daß „die Kirche“ Glaubensgrundsätze aufgegeben hätte, müßte dies aus den genannten Dokumenten tun. Im Katechismus der katholischen Kirche aber heißt es (KKK 2105):
„Die Pflicht, Gott aufrichtig zu verehren, betrifft sowohl den einzelnen Menschen als auch die Gesellschaft. Dies ist «die überlieferte katholische Lehre von der moralischen Pflicht der Menschen und der Gesellschaften gegenüber der wahren  Religion  und  der   einzigen  Kirche Christi» (DH1). Indem die Kirche unablässig das Evangelium verkündet, bemüht sie sich darum, daß es den Menschen möglich wird, «Mentalität und Sitte, Gesetz und Strukturen der Gemeinschaft,  in  der  jemand  lebt,  im  Geiste  Christi zu gestalten» (AA13). Die Christen haben die soziale Verpflichtung, in jedem Menschen die Liebe zum Wahren und Guten zu achten und zu wecken. Dies verlangt von ihnen, die einzige wahre Religion, die in der katholischen und apostolischen Kirche verwirklicht ist zu verbreiten. Die Christen sind berufen, das Licht der Welt zu sein. Die Kirche bezeugt so die Königsherrschaft Christi über die ganze Schöpfung, insbesondere über die menschlichen Gesellschaften.“

Hat „die Kirche“ wirklich aufgehört zu verkünden, sie sei die einzig wahre und identisch mit der Kirche Christi?

Die Piusbruderschaft greift wirkliche oder vermeintliche Irrtümer von Theologen auf, verweist auf Mißstände, deren es tatsächlich viele gibt, und tut dabei so, als sei sie die einzige Gemeinschaft, die noch den wahren katholischen Glauben bewahrt hätte.

Verallgemeinerungen dieser Art, die Mißstände als „die neue, offizielle Lehre der Kirche“ anprangern, sind die erste Argumentationstechnik, mit der die Priesterbruderschaft St. Pius X. ihre Haltung plausibel machen will.

Die zweite Argumentationstechnik heißt Mißtrauen säen. Wie sehr habe ich darunter gelitten, wie sehr hat mich das verunsichert!
Ich sehe mich auf einmal wieder im großen Hörsaal des Zaitzkofner Seminars. In dramatischen Worten wird uns Seminaristen die Notwendigkeit der Bischofsweihen dargelegt: Die Kirche sei in einem Notstand. Rom hätte zwar eine Bischofsweihe am 15. August genehmigt. Aber Rom wolle selbst den Kandidaten aussuchen und nach den Normen des Kirchenrechts bestimmen. Das aber sei eine Falle. Der eine solle dann umgedreht und auf Konzilskurs gebracht werden. Darum müßten wir Monseigneur folgen, der am 30. Juni vier Bischöfe weihen würde.

Damals schoß mir ein Gedanke durch den Kopf, der wahrscheinlich der Anfang einer entscheidenden Wende in meinem Leben sein sollte: Was, wenn das doch keine Falle wäre? Was, wenn das Beharren Roms auf den Normen des Kirchenrechts keine Ausrede, sondern Ausdruck sehr vernünftiger Kirchenführung wäre? Wenn sich Rom von Mgr. Lefebvre erpressen ließe, würden dann nicht die Befreiungstheologen und alle anderen Links-Katholiken ebenfalls kommen, und sich - sogar mir gewissem Recht - auch ihre Bischöfe weihen? Wäre das nicht der Anfang der totalen Anarchie in der Kirche?

Die gesamte „Notstandstheorie“ baut auf Verallgemeinerung und Mißtrauen auf. Welches maßgebliche Dokument leugnet eine Glaubenswahrheit, die es rechtfertigen würde, die Priesterbruderschaft St. Pius X. als die einzige, rechtgläubige Gemeinschaft zu betrachten?
Welchen Notstand kann es geben, der glaubhaft machte, zur „Rettung der Kirche“ seien vier Bischöfe am 30. Juni notwendig und nicht einer am 15. August?

Seit Jahren hatten sich Priester der Piusbruderschaft sehr ernsthaft mit der Frage von Bischofsweihen ohne päpstlichen Auftrag beschäftigt. Schwerwiegende theologische Einwände wurden dagegen vorgebracht.
Da wurde zum Beispiel die Verurteilung des Konzils von Trient angeführt: „Wer sagt, die Bischöfe ...die weder von der kirchlichen und kanonischen Macht rechtmäßig geweiht noch beauftragt wurden, sondern anderswoher kommen, seien rechtmäßige Diener des Wortes und der Sakramente: der sei Ausgeschlossen (DS 1777).“
Es wurde auf die Enzyklika von Pius XII. „Ad Apostolorum Principis“ verwiesen in der es heißt: „...daß niemand rechtmäßig Bischofsweihen erteilen kann, wenn nicht zuvor der päpstliche Auftrag feststeht. Darum wird für die Erteilung einer solchen Weihe wider Recht und Gerechtigkeit, die ein äußerst schweres Verbrechen an der Einheit der Kirche bildet, die dem Apostolischen Stuhl in ganz besonderer Weise vorbehaltene Exkommunikation verhängt...
Das ist die Lehre der katholischen Wahrheit, von der niemand abweichen kann, ohne Schaden zu leiden an seinem Glauben und an seinem Heil“ („Ad Apostolorum Principis“ 1958).

Und all diese Einwände fegte man nun einfach vom Tisch, bloß weil es vier Bischöfe am 30. Juni und nicht einer am 15. August sein müßten. Wo ist da das Vertrauen auf Gott? In dem 1986 erschienenen Buch „Offener Brief an die ratlosen Katholiken“ schrieb Lefebvre (Seite 247): „Man schreibt auch, daß mein Werk nach mir verschwinden wird, weil es keinen Bischof geben wird, um mich zu ersetzen. Ich bin vom Gegenteil überzeugt, ich bin durchaus nicht beunruhigt. Ich kann morgen sterben, alles liegt in Gottes Hand. Ich weiß, daß sich auf der ganzen Welt genügend Bischöfe finden werden, die unsere Seminaristen weihen. Der eine oder andere Bischof würde, auch wenn er heute schweigt, vom Heiligen Geist den Mut erhalten, seinerseits aufzustehen. Wenn mein Werk von Gott ist, wird Er es zu bewahren wissen...“

Wo war dieser Geist 1988? Wo war dieses Vertrauen auf die Hilfe Gottes? Wenn Lefebvre zu einer Zeit, in der natürlicherweise kein Weg, wie es weitergehen könnte, sichtbar war, auf Gott vertraute, warum nicht um so mehr, als ein solcher Weg sich auftat. Hätte Gott nicht auch diesen einen Bischof, der am 15. August geweiht worden wäre, davor bewahren können, „umgedreht“ zu werden?
Es waren eine maßlose Überschätzung der eigenen Bedeutung und ein sehr natürlich motiviertes Mißtrauen, die hier Regie führten.

Dann ist da noch der eine Satz, den Pater Natterer kurz vor den Bischofsweihen während eines Vortrages sagte und der mir bis heute nicht aus dem Kopf geht. Nahezu wörtlich kann ich ihn auch zehn Jahre später noch wiedergeben:
„Monseigneur hat mir gesagt, jetzt, im Vorfeld einer Einigung kann ich noch fordernd auftreten. Wenn ich erst wieder eingebunden bin in die kirchlichen Strukturen, muß ich mich wieder an die ganze Kirchendiplomatie halten. Rom ist mir so weit entgegengekommen. Sie werden die Einigung nicht wegen der vier Bischöfe platzen lassen.“
Hat Lefebvre damals gepokert und verspielt?

Am 5. Mai 1988 unterzeichnete Lefebvre ein Gesprächsprotokoll, das die Einigung mit Rom zu bringen schien. Der damalige Generalobere der Piusbruderschaft, Pater Franz Schmidberger, pries dieses Protokoll als „Geschenk der Muttergottes“. Er wußte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, daß Erzbischof Lefebvre am 6. Mai neue Forderungen nachgeschoben hatte. Die Forderungen nämlich, daß der 30. Juni als Weihetermin einzuhalten sei, und daß vier Bischöfe geweiht werden müßten, die er aussuche und von Rom zu akzeptieren seien.
Daraufhin sicherte Kardinal Ratzinger Lefebvre einen Bischof am 15. August zu, der - aus den Reihen der Piusbruderschaft genommen - von Rom nach den Normen des Kirchenrechts ausgesucht werde.
Als dies Lefebvre nicht akzeptieren wollte und es dann zum endgültigen Bruch kam, sicherte Rom die Vereinbarungen des Protokolls vom 5. Mai all denen zu, die in Einheit mit dem Heiligen Vater bleiben wollten.


Und wieder säte die Piusbruderschaft Mißtrauen: Noch heute sehe ich deutlich den Vortragssaal vor mir, der sich im Wiener Priorat über der Kapelle befindet. Es war der 13. Juli 1988, ein Mittwoch. Ich hatte soeben dem damaligen Generaloberen der Piusbruderschaft, Pater Franz Schmidberger, persönlich mitgeteilt, daß ich mich endgültig entschlossen hätte, die Bruderschaft zu verlassen. Ich ging allerdings noch zum Vortrag, den er halten wollte. In diesem ging er hart mit den Priestern und Seminaristen, die die Piusbruderschaft verlassen hatten, ins Gericht. Da war die Rede von „nützlichen Idioten“, von „Verrätern“ und einem „totgeborenen Kind“. Die Gläubigen kannten meine Haltung, sahen, daß ich anwesend war und drehten sich entrüstet zu mir um. Es war extrem peinlich!

Mißtrauen säend meinte Schmidberger damals: „Warum kommt Kardinal Ratzinger jetzt acht Priestern entgegen und nicht den anderen? Geht es ihm wirklich um die Einheit? Wenn es Kardinal Ratzinger um die Einheit ginge, hätte er diesen acht Priestern gesagt: »bleibt zusammen, wir nehmen Verhandlungen auf und bereinigen die Sache«“.
Und das nach den intensiven Verhandlungen vom Mai? O unüberbietbare Naivität!

In späteren Vorträgen versicherte Pater Schmidberger immer wieder den Gläubigen, das Angebot Roms sei eine Falle, in drei Jahren gebe es die Petrusbruderschaft nicht mehr. Später hieß es dann, in fünf Jahren gebe es sie nicht mehr.
Ich weiß noch, wie mich diese „Prophezeiungen“ damals verunsicherten. In der Anfangszeit wußte ja tatsächlich niemand, wie es weiter gehen würde.

Und heute? Zehn Jahre danach gibt es die Priesterbruderschaft St. Petrus immer noch. Ohne in eine Falle getappt zu sein, kann ich täglich die Messe in der schönsten Kirche von Linz, der Minoritenkirche, zelebrieren. Bischof Maximilian Aichern hat mir außerdem die Erlaubnis gegeben, in allen Kirchen und Kapellen der Diözese die tridentinische Messe zu feiern und zu predigen.
Das also ist die Erfüllung der mißtrauischen Prophezeiungen.
 

Die Erinnerung an diesen unangenehmen peinlichen Vortrag hat meine Seele aufgewühlt. Ich lege das Büchlein zur Seite und sehe eine Reihe von Bildern vor meinem geistigen Auge; Bilder von Ereignissen, deren gemeinsames die tiefe Kränkung ist, die sie in meiner Seele verursachten.

Ich sehe mich wieder im Priesterseminar Zaitzkofen, irgendwann Ende Juli, Anfang August 1988. Ich hatte an meine Wiener Heimatadresse einen Brief bekommen, der mich aufforderte, meine Sachen bis zu einem bestimmten Termin aus dem Seminar abzuholen, anderenfalls würden sie auf meine Kosten in ein Depot gebracht.

Ich konnte unmöglich innerhalb eines Tages von Wien nach Zaitzkofen fahren, mein Zimmer, das ich sechs Jahre im Seminar bewohnt hatte, räumen und am selben Tag wieder nach Wien zurückfahren. Dazu brauchte ich mehrere Tage. Also telefonierte ich ins Seminar, wann ich kommen und wie lange ich bleiben wollte. Schließlich mußte auch die Küche kalkulieren können, wieviele Personen zum Essen da sind. Pater Regens, so ließ man mich allerdings am Telefon etwas verunsichert wissen, hätte aber verfügt, diese Abtrünnigen dürften nicht mehr im Seminar essen. Das traf mich wie ein Keulenschlag. Das wollte ich von ihm persönlich hören! Ich setzte mich ins Auto und raste wie die Feuerwehr von Wien nach Zaitzkofen. Ich wollte unbedingt zum Mittagessen dort sein. Doch zu spät! Ich betrat den Speisesaal genau zu dem Zeitpunkt als man sich zum Dankgebet erhob. Ich sah die Essensreste auf dem Tisch. Es war nur der Subregens anwesend. Mit lauerndem Unterton fragte ich, ob ich noch etwas zu Essen bekäme. Angesichts der halbvollen Schüsseln hieß es dann, ich solle mich unten ins Gästezimmer setzen. Bruder Josef, der den Küchendienst versah, ließ mich dann wissen, ich bekäme zwar etwas zu Essen, dürfe aber nicht mehr mit den anderen zusammen essen.

Sechs Jahre meines Lebens hatte ich in diesem Seminar verbracht, Tür an Tür mit meinen Mitbrüdern gewohnt. Viele Ereignisse, die wir gemeinsam durchgestanden, hatten uns zusammengeschweißt. Und nun durfte ich nichteinmal mehr mit ihnen gemeinsam essen.

Meine Erinnerung wandert zurück an den Tag, als die Seminargemeinschaft nach Ecône zu den Bischofsweihen fuhr. Es war der 28. Juni. Ich und einige Seminaristen fuhren nicht mit. Wir standen im Hof des Zaitzkofner Seminars und sahen den Bus abfahren. Man würdigte uns keines Blickes. Wir waren die Ausgestoßenen, die Untreuen, die Monseigneur verräterisch im Stich ließen. Wir waren einfach keines Grußes mehr würdig.
Dabei war es nur die Überzeugung, daß kraft der göttlichen Ordnung, die Christus seiner Kirche gegeben hatte, eine Bischofsweihe gegen den Willen des Papstes ganz und gar unmöglich sei. Eine Trennung von der Kirche kann nie ein Dienst an ihr sein.

Zu diesem Zeitpunkt wußte keiner von uns, wie es weiter gehen würde. Wir standen gleichsam vor dem Nichts. Wir wußten nur, wann und wo wir uns wieder treffen wollten, sollte es tatsächlich zu den Bischofsweihen kommen. Wir hofften nämlich, daß im letzten Moment irgend etwas geschehen würde, was dieses Unglück verhindern könnte. Vielleicht würde ja der Blitz vom Himmel fahren oder ein anderes Wunder geschehen. Gott aber kennt andere Wege. Die Bischöfe wurden geweiht, weil die Piusbruderschaft ihr Weiterbestehen nach ihren Vorstellungen als für die Kirche unerläßlich betrachtete. Dreieinhalb Monate später jedoch sollte es eine andere Bruderschaft geben. Gott, der selbst aus den Steinen Kinder Abrahams erwecken kann, sorgte dafür, daß jene, die im Vertrauen auf seine Ordnung eine geliebte Gemeinschaft verließen, binnen kürzester Zeit eine neue fanden. Aber das wußten wir damals noch nicht.

Wir wußten nur, wann und wo wir uns wieder treffen wollten. Am 2. Juli in Sigmundsherberg.

Nordwestlich von Wien liegt der Eisenbahnknotenpunkt Sigmundsherberg. Ein befreundeter Priester hatte dort Platz, mehrere Seminaristen übernachten zu lassen. So kamen im Bahnhofsrestaurant einige Seminaristen und Priester zusammen, um zu überlegen, wie es weitergehen könnte. Intensiv wurde mit anderen Mitbrüdern in der ganzen Welt Kontakt aufgenommen. Wir telefonierten in die ganze Welt und aus der ganzen Welt erreichten uns Telefonate. Aus Frankreich und aus den USA wurde ins Bahnhofsrestaurant nach Sigmundsherberg telefoniert. Die arme Wirtin! Aber mit der Zeit wußte sie dann: unverständlich fremdsprachige Telefonate verlangten diese komischen Priester.

Am Abend ging Pater Recktenwald in sein Auto, um Radio Vatikan zu hören. Dort wurde zum ersten Mal gemeldet, daß der Papst das Moto Proprio „Ecclesia Dei“ veröffentlicht habe und allen, die in Einheit mit dem Apostolischen Stuhl bleiben wollten, die Vereinbarung vom 5. Mai anbot. Diese Neuigkeit schlug wie eine Bombe ein! Wir verfaßten eine Presseerklärung und konnten für den nächsten Tag einen Termin bei Kardinal Groër bekommen. Nach langer Zeit erschien wieder ein Hoffnungsstrahl am Horizont.

Ich trinke meinen Kaffee aus, gehe in mein Zimmer und hole mir den Ordner mit allen Unterlagen aus dieser Zeit. Ich finde die Presseerklärung vom zweiten Juli und beginne zu lesen.
Zuerst wird erklärt, warum wir die Piusbruderschaft verlassen haben, dann heißt es, die Unterfertigten „geben der Hoffnung Ausdruck, zur Verwirklichung ihrer besonderen Berufung von der hiefür zuständigen kirchlichen Obrigkeit kanonisch neu errichtet zu werden, sich der Sorge um das Gottesvolk und insbesondere der Heranbildung von Priestern in authentisch katholischem Geist widmen zu können und hierbei, wie es der ehrwürdigen Überlieferung der katholischen Kirche entspricht, den göttlichen Kult nach den Richtlinien einer unvordenklichen Tradition feiern zu dürfen.“

Es erfüllt mich mit Freude, diese Presseerklärung wieder zu lesen. Haben wir nicht von der Kirche erhalten, was wir uns vor zehn Jahren gewünscht haben? Wir sind kanonisch errichtet, haben zwei Priesterseminare, können die klassische römische Liturgie feiern und für das Heil der Seelen arbeiten.

Keine Falle, keine nützlichen Idioten! Heute, zehn Jahren später, nachdem Priester der Petrusbruderschaft in der ganzen Welt mit dem Segen der Kirche wirken können, ist eines ganz klar: Die Priesterbruderschaft St. Petrus hat in den letzten zehn Jahren mehr dafür getan, daß der klassische, lateinische Ritus in der Kirche lebendig bleibt und Priester in diesem Geist ausgebildet werden, als die Piusbruderschaft. Es waren nicht die Bischofsweihen gegen den Willen des Papstes, die das „Fortbestehen des Priestertums und der katholischen Messe“ sicherten. Es ist Gott, der durch die hierarchische Ordnung für die Kirche sorgt!

Ich blättere weiter in meinen Unterlagen und stoße auf meine Mitschriften von der Gründungsversammlung der Petrusbruderschaft in der Schweizer Zisterzienserabtei Hauterive. Ich lese die Aufzeichnungen des Vortrages, den Msgr. Perl damals gehalten hat: Der Papst wolle Vater aller sein, wir sollten nicht als Randexistenz vegetieren, sondern in der Mitte der Kirche wirken, der Papst habe seinen Willen ausgedrückt und werde Wort halten, von uns sei nun Geduld und Vertrauen erforderlich. Wir sollten nicht zurück, sondern in die Zukunft blicken.

Können wir wirklich in der Mitte der Kirche arbeiten? Nicht überall. Die Priesterbruderschaft St. Petrus wird auch bekämpft, die Meßtheologie, die sie vertritt, als überholt erklärt. Die heutige pfarrliche Praxis in Liturgie und Glaubensleben ist oft weit entfernt von der Lehre der Kirche. Die Kirchenkirse ist noch lang nicht überwunden. Soviel aber ist sicher: Die Kirche rettet uns und nicht wir die Kirche.
Am 18. Juli haben in Hauterive mehrere Priester und ein Diakon die Gründungsurkunde der Priesterbruderschaft St. Petrus unterschrieben. Das war der Anfang jener Gemeinschaft, die nun bald ihren 10. Geburtstag feiern kann.

Draußen ist es finster geworden. Wieder ist eine Woche vorbei, ein Sonntag geht zu Ende, morgen beginnt eine neue Arbeitswoche.

Auch in der Priesterbruderschaft St. Petrus ist noch nicht alle Arbeit getan.
Pater Walthard Zimmer

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